Familie Fasel:

Ist es möglich, dass ein Mensch niemals stirbt?

Das ist eine Frage, die sich die Menschheit seit jeher stellt: Ist es möglich, den Tod zu umgehen? Kann man unsterblich werden? Die Frage scheint grundlegend zu sein, denn die Idee des ewigen Lebens oder einer Existenz nach dem Tod zeigt sich in vielen Kulturen, Zivilisationen und Religionen.

Erfahrung und Biologie zeigen uns jedoch, dass es nicht möglich ist, unendlich zu leben. Wäre es so, befänden sich unsere Vorfahren immer noch unter uns… Einige wären heute schon 1 000, 10 000 oder sogar 100 000 Jahre alt!

Man sollte sich also fragen: Weshalb leben wir nicht ewig? Wieso stirbt jeder Organismus irgendwann?

Die Antwort liegt im Alterungsprozess, welcher uns auf natürliche Weise in Richtung Tod führt. Die Zellen, welche Gewebe und Organe unseres Körpers ausmachen, erleiden mit der Zeit Schäden. Sie nutzen sich ab, werden weniger effizient, erholen sich schlechter und ihre Reparaturmechanismen verlieren an Wirksamkeit. So altern die Organe und ihre Funktion wird schwächer, bis sie irgendwann ihre lebenswichtigen Funktionen nicht mehr ausüben können und der ganze Körper stirbt.

Diese Zellabnutzung ist ein natürliches Phänomen, das mit der Zeit zusammenhängt. Allerdings kann sie durch unseren Lebensstil verlangsamt oder beschleunigt werden.  So können zum Beispiel eine gesunde Ernährung, kombiniert mit körperlicher Aktivität und gutem Schlaf das Leben verlängern. Umgekehrt wirken sich Rauchen, Übergewicht oder ungesundes Essen negativ aus. Dank verbesserter Lebensbedingungen leben wir heute doppelt so lange wie noch vor einem Jahrhundert - und dieser Trend hält an!

 

Was wäre, wenn die Unsterblichkeit eines Tages möglich wäre?

Forschende arbeiten schon heute an der radikalen Lebensverlängerung oder auch an dem, was sie «Tod des Todes» bezeichnen. Dies wirft jedoch grosse ethische Fragen auf: ungleicher Zugang, Überbevölkerung, schwindende Ressourcen…  Und vielleicht ist unser Geist auch einfach nicht gemacht, um eine endlose Existenz zu ertragen. Stellt euch mal vor: Tag für Tag dieselben Gesichter zu sehen, dieselben Tage zu leben und dieselben Gesten zu wiederholen… Das wäre nicht sehr erfreulich. Und ausserdem, würde niemand mehr sterben, dann hätte es bald weder genug Platz noch genug Essen auf der Erde.

 

Paradoxerweise ist der Tod für das Leben notwendig

Erst der Wechsel der Generationen ermöglicht es den Arten, sich an ihre Umwelt anzupassen, neue Fähigkeiten zu entwickeln oder sogar neue Arten zu schaffen. Das ist Evolution. Ja, sie ist langsam – es braucht Tausende, wenn nicht Millionen von Jahren – aber dank ihr gibt es heute den Menschen in der lebenden Welt. Man kann also sagen, dass der Tod zum grossen Lebenszyklus dazugehört und bei dem, was wir heute sind, eine wichtige Rolle gespielt hat.

Warum hat die Evolution nicht die Unsterblichkeit gewählt? Weil sich eine unsterbliche Art weder weiterentwickeln noch an ein sich veränderndes Umfeld anpassen kann. Sie wäre starr… und zum Aussterben verurteilt. Ja, es ist widersinnig, aber es ist so: Der Tod begünstigt das Leben. Er ermöglicht die Anpassung, die Veränderung, den Fortschritt.

Der Tod ist demnach weder Fehler noch Versagen, sondern ein wesentlicher Mechanismus im grossen Lebensprozess. Ohne Tod, keine Evolution. Und ohne Evolution wäre das Leben vielleicht schon längst ausgestorben.

So paradox dies auch klingen mag: Der Tod der einzelnen Individuen ist nötig, um das Leben auf der Erde zu erhalten. Lebewesen sind sterblich… aber das Leben, das ist unsterblich. 

Unser Experte:

Curzio Rüegg

Emeritierter Professor in Pathologie der Abteilung Medizin