Familie Fasel:
Hat das Universum ein Ende?
Wenn man sich fragt, ob das Universum ein Ende hat, dann sollte zuerst definiert werden, was genau unter „Ende“ verstanden wird. Dabei kann man sich auf ein zeitliches Ende beziehen – wird das Universum eines Tages aufhören zu existieren? – oder auf ein räumliches Ende – ist das Universum unendlich oder endlich? Hat es Grenzen, Ränder?
Zeitliches Ende?
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wissen wir, dass sich das Universum ausdehnt. Das bedeutet, dass sich alle Galaxien voneinander entfernen. Diese Ausdehnung ist jedoch nicht als Bewegung der Galaxien im Weltraum zu verstehen. Es ist eher der Raum zwischen den Galaxien, der sich mit der Zeit ausdehnt. Ausserdem nimmt die Grösse der Objekte, die im Universum vorkommen (Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen usw.), nicht zu, da die Kohäsionskräfte dieser Objekte viel stärker sind als die Expansion. Von der Erde aus beobachten Astronomen und Astronominnen, dass sich alle Galaxien von uns zu entfernen scheinen, und zwar umso schneller, je weiter sie entfernt sind. Dies wird als Hubble-Lemaître-Gesetz bezeichnet, benannt nach dem amerikanischen Astronomen, der es 1929 durch Beobachtung nachgewiesen hat, und dem belgischen Astronomen, der es zwei Jahre zuvor theoretisch vorhergesagt hatte. Da sich die Galaxien derzeit voneinander entfernen, kann man sich leicht vorstellen, dass es einmal eine längst vergangene Zeit gab, in der die gesamte Materie in einem sehr dichten und sehr heissen Urzustand verdichtet war, was gemeinhin als Urknall bezeichnet wird.
Aber wenn sich das Universum ausdehnt, bedeutet das dann, dass diese Bewegung für immer andauern wird? Aus theoretischer Sicht gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Expansion kann unbegrenzt weitergehen. Sie kann sich aber auch irgendwann umkehren, d. h., die Galaxien beginnen sich einander anzunähern und enden schliesslich in einem Big Crunch (oder grossen Zusammenbruch, eine Art umgekehrter Urknall). Andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben sich auch vorgestellt, dass auf den Big Crunch ein Big Bounce (grosser Rückprall) folgen könnte, d. h., dass das Universum zwischen Phasen der Expansion und der Kontraktion wechseln könnte. Schliesslich gibt es noch das Szenario des Big Rip (grosser Riss), bei dem alle Strukturen des Universums, von Galaxienhaufen bis hin zu Atomen, durch eine immer stärker werdende Expansion auseinandergerissen werden.
Ende des 20. Jahrhunderts haben zwei internationale Astronomenteams gezeigt, dass sich die Expansion mit der Zeit beschleunigt. Dies widerlegt tendenziell die Modelle des Big Crunch und des Big Bounce und lässt vermuten, dass sich das Universum tatsächlich unendlich ausdehnen und dabei immer kälter werden wird, was manche als Big Freeze (oder grossen Frost) bezeichnen. In einem solchen Szenario entfernen sich die Galaxien immer weiter voneinander, es entstehen keine Sterne mehr und die bestehenden sterben nacheinander aus. Das Universum wird also immer kälter, leerer und dunkler. Aber keine Panik, das wird erst in vielen Milliarden Jahren passieren! Und auch wenn der Big Freeze derzeit das bevorzugte Szenario der Astronomen und Astronominnen ist, sollte man vorsichtig bleiben, da dieses Modell noch nicht in einem gut etablierten theoretischen Rahmen verankert ist.
Räumliches Ende?
Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass das Universum begrenzt sein könnte. Sobald man sich eine Wand oder eine andere Form der Trennung in der Leere des Weltraums vorstellt, denkt man sofort, dass sich dahinter zwangsläufig etwas befinden muss. Diese Idee wurde bereits vor Jahrhunderten vom griechischen Philosophen Archytas von Tarent geäussert: „Wenn ich mich am Rand des Himmels befände, also auf der Sphäre der Fixsterne, könnte ich dann meine Hand oder einen Stock nach aussen strecken, ja oder nein? Es scheint absurd, dass ich das nicht tun könnte; aber wenn ich es könnte, würde dies die Existenz eines Aussen voraussetzen - eines Körpers oder eines Ortes. “ Um dieses Paradoxon zu lösen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Universum unendlich gross und hat daher natürlich keine Grenzen, oder es ist endlich gross, bleibt aber dennoch grenzenlos.
Um sich den zweiten Fall besser vorstellen zu können, d. h., um zu verstehen, wie unser dreidimensionales Universum keine physischen Grenzen haben und dennoch ein endliches Volumen aufweisen könnte, hilft uns der Vergleich mit einer zweidimensionalen Welt. Diese kann flach sein, d. h., sich unendlich in alle Richtungen erstrecken. Sie kann aber auch geschlossen sein, wie die Oberfläche der Erde. Letztere ist zweidimensional, und man kann sich unendlich weit in jede Richtung bewegen, ohne jemals auf eine Wand zu stossen, aber dennoch ist die Oberfläche der Erde endlich (sie beträgt etwa 510 100 000 km²). Ebenso könnte unser dreidimensionales Universum ein endliches Volumen haben, ohne jedoch begrenzt zu sein, auch wenn dies die Vorstellungskraft eines Menschen übersteigt. In einem solchen Universum könnte man sich vorstellen, dass das Licht einer Galaxie die Zeit hatte, das Universum mehrmals zu umrunden, wie eine reisende Person auf der Erdoberfläche, und dass diese Galaxie mehrmals am Himmel sichtbar ist.
Trotz zahlreicher Versuche, dieses Problem sowohl durch Beobachtungen als auch theoretisch zu lösen, ist die Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit des Weltraums bis heute ungeklärt.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich nach dem aktuellen Stand des Wissens die Frage „Hat das Universum ein Ende?“ mit Nein beantworten. Es hat weder ein zeitliches Ende, da seine Expansion offenbar für immer andauern wird, noch ein räumliches Ende, da es entweder ein unendliches Volumen hat oder ein endliches, aber grenzenloses Volumen. Allerdings muss man immer bedenken, dass wissenschaftliche Theorien menschliche Erfindungen sind, die sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Vielleicht gelingt es eines Tages einem der Leser oder einer der Leserinnen dieses Textes, eine völlig andere Antwort auf diese Frage zu entwickeln und sie zu beweisen!
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